Auf einem gewebten Stoff, der links absichtlich zu einer Öffnung aufgebrochen ist, hängen kleine Fäden, vielleicht Erzählfäden aus einer Zeit wie 1525, als die Reformation in Nürnberg das klösterliche Leben erschütterte. Fäden und Fransen aus einer Zeit des Umbruchs. Es kommt zu gewaltigen Spannungen in allen Lebensbereichen. Die Zeichen der Zeit zeigen auf Sturm. Das alte Gewand der Kirche weist große Mängel auf. Ihr sittlicher Verfall stößt die Gläubigen ab. Die alten Glaubenswahrheiten und die göttliche Ordnung aller Dinge hängen schief. Schiefer als der handgewebte Stoff, der das Gewand einer Klarissin trägt: Caritas Pirckheimer.
Auch ihr sind Fäden wichtig. Sie sucht sie in den heiligen Schriften, bei den Kirchenvätern, im Austausch mit den Gelehrten ihrer Zeit und verwebt sie zu einer neuen Argumentation, um in ihrer Art den Glauben zu leben und gegen die Anfeindungen
der Reformation zu rechtfertigen. Mit Wissen und Gewissen verschafft sie sich in der Welt der Männer Gehör und Ansehen. Wir selbst staunen und wundern uns über so viel Leidenschaft in der theologischen Diskussion, über den Kampfesgeist dieser Frau, über ihre Festigkeit, mit der sie behauptete, dass es in Gewissensdingen keinen Zwang geben dürfe: Das ist selbst heute, 500 Jahre später, noch hochaktuell.
Marion Albrecht